Geht´s noch schneller?

Jugendliche benutzen ihr Handy anders, das ist jedem schon einmal aufgefallen, der an der Bushaltestelle neben einem 14-Jährigen gewartet hat. Wildes Scrollen, Scrubben, Klicken ist für die Werbewirkung schlecht. Wer das Handy quer hält, bekommt am meisten mit. Bei Social-Media-Plattformen kommt das jedoch kaum vor.  

Mal ehrlich, wer kennt sie nicht, die multioptionale Lähmung, die sich an manchen Tagen im Home Office einschleicht? Es gäbe so viel zu tun und doch fällt es unendlich schwer, den Startknopf zu drücken. Laptop – Kaffeemaschine – Handy – Kühlschrank. Dieselben Wege, dieselben Wände, dasselbe Licht. Da kommt ein bisschen sportliche Abwechslung gerade recht.  

Zum Beispiel beim Onlinespiel The 100 Meter Scroll. Usain Bolt ist der schnellste Mann in der realen Welt, heißt es auf der Website. Aber wer ist die schnellste Person im Internet? Die Challenge: 100 Meter gegen die Zeit scrollen und dabei einen neuen Rekord aufstellen.  

Wer die Chats zum Spiel durchstöbert, kommt schnell dahinter, dass es hier um mehr als reinen Zeitvertreib geht. Die Geschwindigkeit, mit der man sich durch Apps und Feeds bewegt, Tablets und Handys nutzt, ist für viele ein entscheidender Faktor. In Tech-Foren stößt man auf jede Menge Kommentare zum Thema Scroll- und Scrub-Geschwindigkeit: Warum lassen sich die Feeds nicht schneller anschubsen? Wie kann ich verhindern, dass sie von selbst langsamer werden? Wie kann man das Tempo in den Einstellungen erhöhen?  

Auch die Werbekunden treibt das Thema um, denn es hat unmittelbaren Einfluss auf die Wirkung ihrer Spots. Vor allem den begehrten jungen Zielgruppen kann es kaum noch schnell genug gehen. „Die Digital Natives sind geübter im Umgang mit Apps und Geräten, sie sind ungeduldiger und schneller beim Scrollen und Klicken, erklärt Stefan Schönherr, Unit Lead und Partner beim Marktforschungsinstitut eye square. Ihre Mediennutzung sei „insgesamt flüchtiger“.   

Das hat Folgen für die Werbewirkung: Entgegen der landläufigen Meinung bleibt bei den Jüngeren nämlich nicht mehr, sondern weniger hängen. In der Studie „Track the Success“, die eye square im Auftrag der TV-Gattungsinitiative Screenforce durchgeführt hat, schneidet die Generation 40 plus durchweg besser ab. Bei allen erfassten Wirkungsparametern und über alle Medien hinweg lässt sich der Alterseffekt nachweisen. 

Werbung wird von jüngeren Menschen schneller erkannt und auch schneller weggeklickt. „Die aktive Vermeidung wird durch die Geschicklichkeit im Umgang mit Apps und Devices gefördert“, meint Guido Modenbach, EVP Research, Analytics & Consulting bei der Seven.One Entertainment Group. In Studien zeigen Teens und Twens regelmäßig ein stärkeres Vermeidungsverhalten und höhere Reaktanzen. Laut eMarketer setzen 54 Prozent der 18- bis 24-Jährigen in Deutschland Adblocker ein, in der Gesamtbevölkerung sind es 32 Prozent. 

Reizüberflutung und fehlende „Brand Education“ 

Tatsächlich war die Gedächtnisleistung der Jüngeren früher besser. So kommt eine rund 15  Jahre alte AdTrend-Analyse noch zu dem Schluss, dass sich jüngere Menschen besser an TV-Werbung erinnern als ältere, da sie offenbar generell eine bessere Merkfähigkeit hätten. Vergleicht man die gestützte Werbeerinnerung mit Daten aus dem Mindmonitor 2020, dreht sich das Bild und die Älteren schneiden besser ab. „Offenbar ist die Mediennutzung jüngerer Menschen heute oberflächlicher und durch kürzere Aufmerksamkeitsspannen gekennzeichnet“, erklärt Gerald Neumüller, Director Research von Seven.One Entertainment.

Die zunehmende Zahl an digitalen Plattformen führe zur permanenten Ruhelosigkeit durch extrem kleinteilige Reize, sagt Ines Imdahl, Psychologin und Geschäftsführerin des Marktforschungsunternehmens rheingold salon. Zudem sei „die Zerstückelung des Zusammenhangs durch die sozialen Medien“ dafür verantwortlich, dass die Merkfähigkeit der Teens und Twens nachlässt. Soziale Medien wie TikTok und Instagram lieferten „nur noch zufällig zusammengewürfelte kurze Fetzen, aber keinen geschichtlichen Zusammenhang.“ Junge Menschen könnten hier nur wenig abspeichern, weil ihnen die „Brand Education“ durch andere Medien fehle. „Um Werbewirkung aufzubauen, brauchen wir Anknüpfungspunkte im Gedächtnis“, bekräftigt Imdahl: „Wer keine Zusammenhänge abgespeichert hat, kann sich auch nichts merken.“  

Auch deshalb stehen die gängigen Werbewirkungsindikatoren auf dem Prüfstand: Man fragt sich, welchen Einfluss das bloße Wiedererkennen einer Marke auf den Kaufentscheidungsprozess haben kann. Forscher:innen des australischen Ehrenberg-Bass Institute haben den Begriff der „mentalen Verfügbarkeit“ geprägt. Wenn Werbung etwas bewirken soll, so die Argumentation, müsse sie die Marke im Gedächtnis verankern und mit Assoziationen verknüpfen. In Deutschland hat Seven.One Media die Debatte angestoßen. „Je schärfer wir die Messkriterien für die Werbewirkung anlegen, umso mehr wird sich die Leistung der verschiedenen Bewegtbild-Plattformen differenzieren“, betont Seven.One-Manager Modenbach.    

Das Dilemma: Unter den flinken Fingern der Digital Natives leiden vor allem die Medien, über die man sie erreichen will. In der eye square-Studie, die Befragte bis 39 Jahre zu den „Jüngeren“ zählt, zeigt sich der Trend besonders bei Facebook. Jüngere scrollen während der Werbung schneller durch den Feed, ihre Zuwendung zum Screen ist deutlich kürzer. Im Schnitt sind sie nur 4,6 Sekunden dabei, die Älteren halten immerhin 7 Sekunden durch.   

Startet ein Werbespot automatisch im Facebook-Feed, kann man immer noch weiterscrollen und das Video verschwindet aus dem sichtbaren Bereich. Die Ablenkung ist groß und die Umgehung der Spots einfach. „Wann immer die Möglichkeit besteht, Werbung nicht anzusehen, wird diese auch von vielen Usern genutzt“, weiß eye square-Partner Schönherr.  

Dass YouTube hier noch relativ gut abschneidet, liegt am untersuchten Werbeformat, den non-skippable Ads. Einmal gestartet, läuft der Spot vor dem gewählten Video durch. Bei skippbaren Spots verändert sich das Bild: 66 Prozent aller Befragten nutzen die Möglichkeit, Werbung zu umgehen. Auf dem Desktop sinkt die freie Werbeerinnerung im Vergleich zu non-skippable Ads um 16 Prozent, auf dem Smartphone sogar um 26 Prozent.  

Durchschnittlich wird nach 7,8 Sekunden weggeklickt, denn auch skippbare Spots laufen erst einmal 5 Sekunden, bevor man sie überspringen kann. Dass die Nutzer:innen die Wartezeit auch gerne damit verbringen, auf die rückwärtslaufende Uhr am Bildschirmrand statt auf die Werbung zu gucken, stellt ein weiteres Problem für die Wirkung dar.  

Bildschirmabdeckung beeinflusst Werbewirkung  

Videowerbung wirkt im TV-Content am besten, egal ob zu Hause oder unterwegs. Das haben auch frühere Studien schon nachgewiesen. Spezielle Nutzungssituationen spielen dabei eine Rolle und die seelische Verfassung der Testpersonen. Dass die Handhabung der Geräte ein weiterer wichtiger Treiber für die Werbewirkung ist, wurde bisher dagegen kaum beachtet. 

Neben der flüchtigen Nutzung setzt die geringe Bildschirmabdeckung den Social-Media-Plattformen zu: Wer sein Handy vertikal hält, bekommt deutlich weniger von der Werbung mit. Auf TV-Geräten deckt die Werbung den Bildschirm komplett ab. Das gilt natürlich auch, wenn YouTube-Videos auf dem Fernseher abgespielt werden – derzeit im Schnitt rund 6 Minuten pro Tag. 

Das Smartphone zeigt ein anderes Bild: Nur die Inhalte der TV-Anbieter (BVOD) werden ausnahmslos im Landscape-Modus angesehen. Offenbar sind die Zuschauer das horizontale TV-Bild gewohnt und drehen ihr Smartphone intuitiv, wenn sie das Streaming-Angebot der Sender nutzen. BVOD-Werbung deckt deshalb den gesamten Bildschirm ab.  

Bei den Social-Media-Anwendungen wird das Handy meist vertikal gehalten. Die Werbung deckt dann nur 25 Prozent der Bildschirmfläche ab. Lediglich 8 Prozent der Werbekontakte bei YouTube finden im Vollbildmodus statt. Durch den Facebook-Feed wird fast ausschließlich im Porträt-Modus gescrollt.    

Kein Wunder, dass die Wahrnehmungschance für YouTube-Werbung auf dem Smartphone drastisch sinkt – von 92 auf 24 Prozent. Die Spots werden kürzer fokussiert und die Ablenkung durch andere Inhalte ist größer. Bei BVOD sinkt der Wert, der sich aus der Zuwendung zum Screen und der durchschnittlichen Bildschirmabdeckung ergibt, nur leicht von 93 auf 82 Prozent.  

Für die Wirkung hat das Konsequenzen: Werbung im BVOD-Stream zeigt beim Gerätewechsel kaum Wirkungsverluste. Die gestützte Werbeerinnerung erreicht auf dem Big Screen 58 Prozent, auf dem Handy 55 Prozent. YouTube-Spots wirken auf dem Smartphone (37 Prozent) dagegen deutlich schlechter als auf dem TV-Bildschirm (57 Prozent). 

Dass die junge Generation etwas geschickter im Umgang mit dem Smartphone ist, hilft hier nicht weiter. Zwar halten 11 Prozent der Jüngeren das Handy quer, wenn sie Werbung auf YouTube sehen. „Schnelles Scrollen und die leichte Ablenkbarkeit heben diesen kleinen Handlingvorteil aber offenbar auf“, erklärt Seven.One-Forscher Neumüller. Auch bei den Jüngeren büßt YouTube-Werbung auf dem Handydisplay 16 Prozentpunkte ein (gestützte Werbeerinnerung).

Nicht Screengröße sei entscheidend für die Wirkung, sondern die Frage, wieviel Prozent des Bildschirms die Werbung bedeckt, betont Neumüller: Die Studie liefere „einen weiteren Mosaikstein für die Erklärung der unterschiedlichen Wirkungsniveaus von Videoplattformen“. Tatsächlich ging man im Marketing lange davon aus, dass die Bildschirmgröße die Werbewirkung beeinflusst. Schließlich präsentierten wandfüllende Flatscreens im Wohnzimmer die Spots in völlig anderer Qualität. Dabei haben Forscher wie Steven Bellman, Media Science Research-Professor am Ehrenberg-Bass Institute, schon früher darauf hingewiesen, dass die Größe der Abbildung auf der Netzhaut wichtiger als die Bildschirmgröße ist. Ein Handy nah vors Gesicht gehalten, könne genauso wirken wie ein Flatscreen, schrieb Bellman 2016. Auch das Halten des Geräts in beiden Händen spiele eine Rolle für die Werbewahrnehmung.  

Dass Werbung in den Streaming-Angeboten der Sender nahezu unabhängig von der Bildschirmgröße wirkt, sorgte in der aktuellen Untersuchung dennoch für Überraschung: „Sobald sich die Probanden für ein Video entschieden haben, drehen sie ihr Handy in den Landscape-Modus und haben damit eine Fullscreen-Situation, in der sie kaum noch abgelenkt sind“, erklärt eye square-Partner Schönherr: „Das haben wir in dieser Deutlichkeit nicht erwartet.“ Bei YouTube dagegen korreliere die Bildschirmgröße mit der Wirkung.     

Durch klassische Modelle wie Lean-back und Lean-forward allein lassen sich diese Ergebnisse nicht erklären, betont Seven.One-Manager Modenbach. „Sie zeigen noch einmal klar, warum die Reichweiten in TV und BVOD so wertvoll sind.“ Wandert TV-Nutzung in die Streaming-Angebote der Sender ab, bliebe ihr Wert für die Kunden erhalten. Die hohe Wirksamkeit der BVOD-Ads ist zudem ein Argument, die Streamer der Sender in Zukunft nicht komplett auf Subscription-Modelle umzustellen. Modenbach: „Werbekunden und TV-Vermarkter profitieren gleichermaßen von den wirkungsvollen Reichweiten.“  

Text: Cathrin Hegner